Den Banken droht ein milliardenschweres Haftungsrisiko. Das zeigt ein neues Urteil des Frankfurter Landgerichts zu hochriskanten Finanztermingeschäften, so genannten Swaps. Diese haben Banken in den vergangenen Jahren verstärkt mittelständischen Unternehmen als vermeintliche Zinsoptimierung angeboten. Hohe Verluste auf Kundenseite waren die Folge. Doch die Kunden können sich wehren.
Jetzt hat das Frankfurter Landgericht die Deutsche Bank verurteilt, einem mittelständischen Pharmaunternehmen einen Verlust von 240.000 Euro zu ersetzen und von weiteren etwaigen Verlusten von bis zu 560.000 Euro freizustellen (Aktenzeichen: 2-04 O 388/06). Der Grund: „Die Deutsche Bank hat gegen ihre Beratungspflichten und gegen das Transparenzgebot verstoßen“, fasst Rechtsanwalt Dietmar Kälberer aus Berlin die Urteilsbegründung zusammen. Die auf Kapitalmarktrecht spezialisierte Kanzlei Kälberer & Tittel Rechtsanwälte hat im Urteilsfall den Bankkunden gegen die Deutsche Bank vertreten.
Die Deutsche Bank hatte einem mittelständischen Pharmazieunternehmen aus Südhessen einen so genannten CMS-Spread-Sammler-Swaps als Zinsoptimierung empfohlen. Rechtsanwalt Kälberer bewertet dieses Finanzgeschäft so: „Das war keine Zinsoptimierung für den Kunden, sondern eine Gewinnoptimierung für die Deutsche Bank.“
Stark vereinfacht lassen sich Swaps als Wetten auf Zinssätze beschreiben. Richtig eingesetzt dienen Swaps dazu, den Zinssatz von Krediten abzusichern und langfristig kalkulierbar zu machen. „Aus diesem sinnvollen Finanzinstrument haben viele Banken hochriskante Spekulationsobjekte gemacht, die selbst Unternehmenskunden kaum verstehen“, kritisiert Kälberer. „Die Berechnung der Risiken und Chancen ist bei diesen Geschäften derart komplex, dass es eines Finanzmathematikers bedarf, um die Konstruktion zu durchschauen. Die Herren Black, Merton und Scholes haben 1997 nicht ohne Grund für die Entwicklung der Optionspreistheorie den Wirtschaftsnobelpreis bekommen.“
Im Urteilsfall konnte der Kunde nach Ansicht von Kälberer nur verlieren. Laut Bewertung des Anwalts war das Verlustrisiko des Bankkunden mindestens 20 mal größer als das der Deutschen Bank. Begründung: Während die Bank im Ergebnis 40.000 Euro riskierte, war für den Kunden ein Verlust von 800.000 Euro relativ wahrscheinlich. Denn der Kunde hatte kein Kündigungsrecht, sollte also im ungünstigsten Fall fünf Jahre lang jeweils 80.000 Euro pro Halbjahr zahlen. Anders die Bank. Diese hielt sich laut den AGB ein Hintertürchen offen und konnte bei für sie ungünstigem Verlauf schon nach einem Jahr aus dem Vertrag aussteigen, also mit einem maximalen Verlust von 40.000 Euro. „Der Teufel steckt immer im vermeintlich harmlosen Kleingedruckten“, warnt Rechtsanwalt Kälberer, „die Vertragsklauseln waren im Urteilsfall so nachteilhaft formuliert, dass der Bankkunde nach unserer Überzeugung mit seiner Unterschrift schon mindestens 100.000 Euro verloren hatte.“
Das hat das Frankfurter Gericht offenbar ähnlich bewertet. Für die Rückzahlungspflicht der Deutschen Bank gab es gleich eine doppelte Begründung:
Die Bank verstieß gegen das Transparenzgebot
Erstens ist der Vertrag unwirksam, weil die Deutsche Bank gegen das Transparenzgebot für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) verstoßen hat. Das ist deshalb bemerkenswert, weil das Transparenzgebot in erster Linie gegenüber Verbrauchern Anwendung findet. Vollkaufleuten und Unternehmen trauen die Gerichte dagegen in wirtschaftlichen Fragen mehr Durchblick und Entscheidungskompetenz zu.
Anders im Urteilsfall. Denn hier ging es um Finanztermingeschäfte. Und diese gehörten nicht zur normalen Geschäftstätigkeit des Unternehmens. Trotzdem hat die Deutsche Bank ihrem Kunden einen fertigen Vertrag aufgetischt, in dem die Hauptleistungspflichten mit Hilfe von mathematischen Formeln komplizierter dargestellt wurden als nötig und möglich.
Das war ein Verstoß gegen das Transparenzgebot, urteilte das Gericht. Denn eine Bank muss ihre AGB so verständlich formulieren, dass die Kunden ihre Belastung „unschwer mit möglichst wenigen Zwischenschritten“ und „mit hinreichender Präzision“ erfassen können. Mit anderen Worten: „Die Bank darf die Gewinnchancen und Verlustrisiken nicht unnötig verklausulieren, sondern muss dem Kunden reinen Wein einschenken. Unter Zugrundelegung dieses Urteils dürfte eine Vielzahl von Swap-Geschäften unwirksam sein,“ sagt Rechtsanwalt Kälberer.
Weil sich die Deutsche Bank im konkreten Fall nicht an das Transparenzgebot gehalten hat, ist der Vertrag insgesamt unwirksam.
Die Bank verschwieg Eigeninteresse
Zweitens ist die Deutsche Bank schadensersatzpflichtig. Auch in diesem Punkt ist die Urteilsbegründung spektakulär. „Das Frankfurter Landgericht hat die so genannte Kickback-Rechtsprechung erstmals auf Finanztermingeschäfte angewendet“, sagt Anlegeranwalt Kälberer.
Kickbacks heißen im Finanzjargon die Provisionen, die Banken und andere Vermögensberater von Dritten (z.B. von Fondsgesellschaften oder Versicherungen) für den Abschluss von Geschäften kassieren. Dass das ohne Wissen der Kunden geschieht, hat der Bundesgerichtshof den Banken bei Aktienfonds bereits untersagt. Denn Bankkunden haben das Recht zu erfahren, wie hoch der wahre Preis eines Aktienfonds ist und welches Eigeninteresse die Bank bei dem Geschäft verfolgt. Kälberer: „Hält eine Bank hinter dem Rücken ihrer Kunden die Hand auf, können diese nicht abschätzen, ob die Bank ihnen eventuell nur deshalb zu der Anlage rät, weil sie dabei doppelt verdient.“
Vergleichbar die Lage im Urteilsfall. Auch hier hatte die Deutsche Bank ein eigenes Gewinninteresse am Vertragsabschluss. Wie viel sie letztlich mit dem Swap verdienen wollte, hat sie ihrem Kunden jedoch nicht mitgeteilt. Genau das hätte sie aber tun müssen, urteilte das Frankfurter Landgericht. Denn bei Finanztermin- und Wertpapierhandelsgeschäften können sich die beratenden Banken nicht darauf zurückziehen, dass die Kalkulation der Gewinnmarge allein ihre Sache und ein Betriebsgeheimnis sei.
Das Frankfurter Landgericht hat in dem 45 Seiten umfassenden Urteil auch festgestellt, was zu den „zweckdienlichen und somit zwingend mitzuteilenden Informationen“ gehört: Der Marktwert des angebotenen Vertrags und die Gewinnmarge der Bank. Beide Informationen sind zwingend, weil die Kunden mit ihrer Hilfe leichter erkennen können, ob die Bank bei der Beratung ein Eigeninteresse verfolgt und wie hoch dieses ist.
„Schweigt sich eine Bank vor Vertragsabschluss über den Marktwert des angebotenen Finanztermingeschäfts und ihre eigene Gewinnmarge aus, verstößt sie gegen ihre Aufklärungspflichten als Berater“, erklärt Rechtsanwalt Kälberer. Die Folge: Die Bank wird schadenersatzpflichtig und muss dem Kunden den erlittenen Verlust ersetzen. Im Urteilsfall waren das 240.000 Euro. Die Mandantin der Kanzlei Kälberer & Tittel Rechtsanwälte wurde aber auch von dem Restrisiko befreit. Ohne Urteil hätte sie mit dem gleichen Swap-Vertrag einen weiteren Verlust von 540.000 Euro befürchten müssen.
Bankenbranche droht nächstes Haftungsrisiko
Das Urteil geht über die Bedeutung eines Einzelfalls hinaus. „Das Urteil wird viele Banker aufschrecken“, sagt Kälberer. Der Grund: Ähnliche Finanztermingeschäfte wie die Deutsche Bank haben auch andere Bankhäuser in den vergangenen Jahren in den Markt gedrückt. Die Kanzlei Kälberer & Tittel Rechtsanwälte bereitet neben weiteren Klagen gegen die Deutsche Bank auch Klagen gegen die IKB Bank oder die Berenberg Bank vor.
Kälberer ist zuversichtlich. In jedem Einzelfall findet er gleich mehrere Ansatzpunkte, wie sich die Bankkunden vor Gericht gegen Verluste wehren können. „Unsere Köcher sind voll“, sagt der Anlegeranwalt.
Mit dem Transparenzgebot hat eine Vielzahl von Swaps ein Problem. „Manche Banken haben aus ihren AGB für Swaps eine regelrechte Schnitzeljagd gemacht, bei der die Kunden von einer Klausel zur nächsten verwiesen werden“, kritisiert Kälberer. „Andere Banken waren nicht einmal selbst in der Lage, die zu erwartenden Verluste richtig zu errechnen. Die haben ihre Kundschaft mit falschen Rechenbeispielen in die Irre geführt.“
Neben der Transparenzsünde können Anleger auf die Kickback-Rechtsprechung setzen. Laut Kälberer hat fast jeder komplexere Swap ein Kickback-Problem. „Das Schweigen der Banken über ihre eigenen Gewinninteressen wird den meisten neuen Swap-Konstruktionen das Genick brechen“, prognostiziert der Berliner Anwalt.
Das befürchten offenbar auch viele Banker. Zumindest war das Interesse der Bankjuristen im Frankfurter Fall enorm groß. Bei der Beweisaufnahme war fast jeder Zuschauerplatz im Gerichtssaal mit Juristen und Mitarbeitern der Deutschen Bank besetzt. „Das hatte ich noch nie, dass die Rechtsabteilung einer Bank gleich in Stärke einer Fußballmannschaft anrückt“, sagt Kälberer, der seit 14 Jahren Kapitalanleger bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützt. Insofern sieht Anwalt Kälberer der zweiten Runde gelassen entgegen. Eine Berufungsklage vor dem Oberlandesgericht wird es wohl geben. Zumindest hat die Deutsche Bank angekündigt, gegen das Urteil in die Berufung zu gehen.
Bin Swapgeschädigter